WIND.MÜHLEN.FLÜGEL

[...] Die Windmühlen gehören zum Sprichwortschatz, seit Don Quijote sie mit seiner Lanze bezwingen wollte - er hielt sie für Riesen. Den überbordenden Roman von Cervantes düften zwar nur wenige gelesen haben. Aber fast jeder kennt den sonderbaren Ritter, der mit seinem Knappen durch Spanien reitet. Ist er ein Fantast? Oder ein Depp? Ein Held, jemand, der sich mit der Realität nicht zufriedengibt? Und was hat das alles mit uns zu tun?
Solche Fragen stellt die neue Inszenierung der Bürgerbühne des Dresdner Staatsschauspiels. Regisseur Tobias Rausch und sechs Laiendarsteller holen den Klassiker aus der Mythenecke. Sie finden überraschende Bezüge zur Gegenwart, etwa, wenn sie die Ritterromantik des Goldenen Zeitalters vergleichen mit der virtuellen Welt von Computerspielen. Ihre Ideen übersetzen sie mit spielerischem Humor und fantasievollen Bildern, stimmig begleitet von einem Bläserquartett. [...] Die Spieler lassen ganze Städte wachsen aus den Schatten von durchlöcherten Bierdosen und eine Windmühlensiedlung aus Pappbechern und Plastikbechern. Die Romanmotive durchmischen sich gekonnt mit dem, was die Darsteller aus ihrem Leben erzählen. Oder ist auch das nur Fiktion? Man ist sich manchmal unsicher, und dieser Schwebezustand gibt der Inszenierung zusätzlichen Reiz.
Die verspielte Seite bildet das Gegengewicht zu mancher Last, von der die Bühnenbürger sprechen. Susanna zum Beispiel erlebte als Kind, wie ihre Mutter kopfkrank in eine eigene Welt abdriftete. Die Tochter fühlte sich wie ein leidender Sancho Panza verpflichtet, treu an ihrer Seite zu bleiben. Oder Hans, der sich nach der Wende dem Alkohol hingab und noch Jahrzehnte später einer Frau nachfahndet. Als veritabler Quijote rückt er vors Publikum, mit Helm, Kettenhemd und Lanze. Verrückt? Verloren? Vergebens?
Das Stück fällt kein Urteil. Es stellt Menschen vor, die mit der Abweichung beser vertraut sind als mit der Norm. Die mit mehr Fantasie ausgestattet sind als der Durchschnitt. Weil das zwangsläufig zu Ärger mit dem Durchschnitt führt, ist der Abend auch ein Geschenk ans Theater selbst. Kunst kämpft für Freiheit, und macht nichts, dass sie dabei oft gegen Windmühlen anrennt. Das gehört dazu.
(Rafael Barth/Sächsische Zeitung, 04.04.2016)

Die Spontanumfrage der wieder einmal hinreißenden Bürgerbühnenakteure unter ihrem Publikum zeitigte ein enttäuschendes Ergebnis. Nur eine schmale Minderheit hatte Cervantes Klassiker »Don Quijote« gelesen. [...] Dabei zeigten die Assoziationen, die der Stoff aus dem frühen 17. Jahrhundert bei Autor und Regisseur Tobias Rausch und den Spielern ausgelöst hat, wie gegenwärtig die Paranoia des Ritters von der traurigen Gestalt erscheint. Ritterromane heißen jetzt Fantasy, und der Wust von Computer- und Internetspielen rekurriert meist auf die Zeit, als noch mit Lanze und Schwert für edle Sachen und hohe Damen gekämpft wurde. [...] Die Analogien zur hermetischen Fantasy-Welt, zu Spielen wie »Dragon Age« bietet die eine Perspektive, aus der sich die sechs Spieler dem alten Cervantes nähern. Die andere ist eine Spurensuche in einer nicht minder geheimnisvollen Bibliothek. Die Bücher sind Freund, die leben und agieren und miteinander flüstern. Und dieses eine, besondere, wird immer wieder gesucht.
Hier, aus der Herrentoilette kommend, in die seine Lanze kaum hineinpasst, tritt nach mehr als einer halben Stunde Don Quijote schließlich selbst in Erscheinung. Hans Kubach ist wirklich ein Ritter von der traurigen Gestalt, umso mehr, wenn man ansatzweise seine Lebensgeschichte erfährt und begreift, dass er hier in lakonischem Tonfall und eher Absenz denn Bühnenpräsenz sich selbst spielt. [...] Mit ihm kommt nicht nur seine autobiografische Komponente hinzu. Die anderen Spieler bringen auch zunehmend sich selbst oder Interviews ein, die sie mit anderen Dresdnern geführt haben. Die Grenzen zwischen produktiver Phantasie und destruktivem Wahn fließen. Wunschpartner werden imaginiert, eine Wissenschaftlerin erliegt ihren Obsessionen. [...]
Der Ritter erzählt im polizeilichen Verhör aber auch seine Gerechtigkeitsphantasien und Träume von einer besseren Welt. Der legendäre Kampf gegen Windmühlenflügel ist einer gegen die Türme des Kapitals, der Ritter ein einfältiger Kämpfer gegen Ausbeutung und Neoliberalismus. Und ein Romantiker von 1989.
Die Windmühlen werden als Schattenspiel mit Hilfe schlichter Pappbecher und von Plastikbesteck auf rührende Weise an die stoffbespannte Kulisse projeziert. Durchlöcherte Bierbüchsen erscheinen auf diese Weise als Skyscraper. Ein Mittel, das in zauberhafter Art vielfach eingesetzt wird. z Zauberhaft spielen auch die vier jungen Damen in Weiß, Greta Börke, Caroline Hellwig, Claudia Seiler und Susanna Pervana. [...] Ein sehenswerter Abend für alle süßen Träumer, angehenden Spinner, verhinderten Antikapitalisten und pädagogisch noch beeinflussbaren Computerfreaks.
(Michael Bartsch/Dresdner Neueste Nachrichten, 04.04.2016)

Sechs Dresdner(innen) treten auf, sie spielen und erzählen dabei auch aus dem eigenen Leben. Es sind Geschichten vom Träumen und Wünschen, von der Schicksalhaftigkeit des Lebens und vom Scheitern. Es sind Geschichten von der Sehnsucht nach dem ersten Kuss, von Sprachbarrieren und Kindesnot, von Spielsucht und von Alkoholismus. Der kleine Mensch in der großen Welt und wie er ihr ein würdiges Leben abzutrotzden sucht, darum geht es im »Don Quijote«, darum geht es im Stück.
Ausgangspunkt des tragikomischen Spiels ist eine Bibliothek, aus deren Regalen sich eigenwillige Bücher herausstürzen, um sich den Besuchern aufzudrängen. Vier Frauen und zwei Männer beziehen sich aufeinander in Szenen von Witz bis Melancholie. Hans Kubach, ein ehemaliger Journalist, gibt mit Lanze und Rüstung durchaus rührend den traurigen Ritter.
Zur Musik eines Bläserquartetts (Musik: Matthias Herrmann) und mithilfe von Videoprojektionen [sic!], die während des Spiels entstehen und mit einfachen Mitteln verblüffende Effekte erschaffen, entsteht über eineinhalb Stunden, ein Spiel, das berührt, belustigt und begeistert.
(Guido Glaner/Dresdner Morgenpost, 04.04.2016)

Es ist wahr, so märchenhaft es klingt. Die Helden der Bürgerbühne spielen sich selbst. Und obwohl die jüngste Premiere bereits für sich erstaunlich durchkomponiert ist und das Motiv vom "Don Quijote und Sancho Pansa" stimmig erzählt, berühren umso mehr die darin eingebauten Lebensgeschichten dieser ehrlichen Alltagshelden. Allen voran ein ehemaliger Kulturjournalist, der sich an die Aufbruchjahre von 1989/90 erinnert als eine Zeit, in der alles möglich schien. Hans Kubach erntete für seinen trockenen Humor zahlreiche Lacher.
Den Windmühlenkämpfer begleitet die Griechin Susanna Pervana in ihrem zweiten Bürgerbühnenstück als Pendant zum Ritter von der traurigen Gestalt: Ihr Bericht von der Kindheit mit einer in Wahnvorstellungen gefangenen Mutter geht ebenso unter die Haut.
Der Kampf gegen Windmühlen, wie der von Miguel de Cervantes' fahrendem Ritter und Anti-Helden, ist ein zeitloses Thema, seit der vor über vier Jahrhunderten in die Welt zog. Heute sind es die Nerds, die Fantasy-Spiele mit der Realität verwechseln, wunderbar gespielt von Caroline Hellwig. Auch der Traum vom ersten Kuss auf der Bühne (Greta Börke) geht zwar in Erfüllung, löst sich aber sogleich wieder auf in dem Satz "Tatsachen sind die Feinde der Wahrheit".
Und so gerät der amüsante, kurzweilige Abend (Dramaturgie: Julia Fahle) zu einem Lob der Utopisten, die für ihre Zeit Unvorstellbares glauben und glaubhaft machen wollen, die scheitern und wieder aufsatteln und oft hart auf der Grenzlinie zum Wahnsinn balancieren.
Schattenspiele und Drehobjekte untermalen die Szenen ebenso fantasievoll wie die Musik von Matthias Herrmann, vorgetragen von Anna Schulz, Frank Busch, Niklas Friedrich und Andreas Rudolph. Sie tragen im Gegensatz zu den schwarz-weiß-gewandeten Spielern bunte aufeinander abgestimmte Kleider (Bühne und Kostüm Jelena Nagorni). Dem Regisseur und Autoren Tobias Rausch, der bereits "Weiße Flecken" erfolgreich an der Bürgerbühne inszeniert hat, ist mit "Wind.Mühlen.Flügel." ein rundes sehenswertes Rechercheprojekt gelungen.
(Una Giesecke/DAWO! Dresdner Wochenzeitung, 13.04.2016)

Gemeinsam mit sechs Bürgerinnen und Bürgern macht sich Regisseur und Autor Tobias Rausch für dieses Theaterprojekt auf die Suche nach dem Ritter mit der traurigen Gestalt von heute. Mit der dramaturgischen Unterstützung des Autors Martin Heckmanns ist ein Stück entstanden, in dem die Grenzen der biografischen Geschichten der Schauspieler und Schauspielerinnen und die klassische Grundlage der Romanvorlage nicht mehr klar voneinander zu trennen sind. Jelena Nagorni ist dabei für das eindrucksvolle Bühnenbild mit Schattenspiel und Kostümen verantwortlich. Besonders gelungen ist zudem die musikalische Umrahmung der drei Bühnenmusiker. Eine sehenswerte Inszenierung, die den Klassiker aus der Mythenecke holt und vom Publikum mit viel Beifall bedacht wurde.
(Angelika Guetter/SAX, Mai 2016)

Jeder der sechs Spielerinnen und Spieler hat seine eigene Version der Geschichte von Don Quijote in dieser witzig, poetisch und einfallsreich in Szene gesetzten Aufführung von Autor und Regisseur Tobias Rausch. Gemeinsam gehen sie auf die Suche nach den Don Quijotes unserer Zeit, musikalisch originell auf Blasinstrumenten von vier jungen Musikern begleitet. Fantasie und Realität, Episoden aus dem Roman und persönliche Lebensgeschichten mischen sich ständig, wenn sie von ihren Träumen, Siegen und Niederlagen und Erfahrungen im Umgang damit erzählen.
(Lilli Vostry/meinwortgarten.com, 15.05.2016)